Der BGH hat in seinem Beschluss vom 29.03.2023 (Az. XII ZB 515/22) entschieden, dass eine durch Vorsorgevollmacht bevollmächtigte Person dann ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Vollmachtgebers zu besorgen, wenn zu befürchten ist, dass er die Angelegenheiten des Vollmachtgebers nicht entsprechend der Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Vollmachtgebers besorgt. Erst dann kommt die Bestellung eines Betreuers in Betracht.
In dem vom BGH zu entscheidenden Sachverhalt erteilte eine 78-jährige Mutter ihrer Tochter und ihrem Enkel Vorsorgevollmachten zur jeweils alleinigen Ausübung. Bis zum Jahre 2021 wurde die Mutter im Haus des Enkels durch einen Pflegedienst versorgt; auch der Enkel übernahm Maßnahmen der Grundpflege. Zwischen den Bevollmächtigten kam es in Bezug auf die pflegerische Versorgung immer wieder zu Streitigkeiten. Ferner wurden im August 2021 seitens des Pflegedienstes gegen den Enkel Misshandlungsvorwürfe erhoben. Im Februar 2022 ordnete das Betreuungsgericht eine Betreuung für die Mutter an und bestellte eine Berufsbetreuerin. Das Landgericht Paderborn hat die hiergegen gerichteten Beschwerden der Tochter und des Enkels zurückgewiesen. Das Rechtsmittel der Tochter hatte vor dem BGH Erfolg; der Beschluss des Landgerichts wurde aufgehoben und an das Landgericht zur erneuten Prüfung und Entscheidung zurückverwiesen.
Hierzu führte der BGH aus, dass das Landgericht verfahrensfehlerhaft von einer Anhörung der Mutter im Beschwerdeverfahren abgesehen habe. Das Gericht sei verpflichtet, den Betroffenen vor Bestellung eines Betreuers persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen.
Ferner bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bestellung eines Betreuers trotz des Vorliegens einer wirksamen Vorsorgevollmacht erforderlich sei. Eine Vorsorgevollmacht steht grundsätzlich der Betreuerbestellung nach § 1814 Abs. 3 Satz 1 BGB entgegen. Eine Betreuung kann dennoch erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Vollmachtgebers entsprechend der Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Vollmachtgebers zu besorgen. Der BGH stellt klar, dass die Auswahl des Bevollmächtigten grundsätzlich der Entscheidung des Vollmachtgebers obliegt, die auch dann zu respektieren ist, wenn die zu regelnden Angelegenheiten durch einen Betreuer möglicherweise besser erledigt werden könnten. Sofern sich der Bevollmächtigte hinsichtlich der pflegerischen Versorgung des Betroffenen eines Pflegedienstes bedient und sich von Vorschlägen des Pflegedienstes leiten lässt, ist der Bevollmächtigte nur dann ungeeignet, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er mangels kritischer Würdigung der Handlungsvorschläge die Angelegenheiten nicht entsprechend der Wünsche des Betroffenen besorgt. Sind solche Defizite in der kritischen Auseinandersetzung des Bevollmächtigten mit Vorschlägen des Pflegedienstes oder auch Konflikte zwischen mehreren Bevollmächtigten zu erkennen sind, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zunächst die Bestellung eines sog. Kontrollbetreuers. Vorliegend wurde durch das Amtsgericht für die Mutter jedoch kein Kontrollbetreuer, sondern ein unmittelbar ein Berufsbetreuer bestellt, sodass der angefochtene Beschluss des Landgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen war.
Schließlich wies der BGH darauf hin, dass das Betreuungsgericht gemäß § 1820 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BGB anordnen dürfe, dass der Bevollmächtigte die ihm erteilte Vollmacht insgesamt oder teilweise nicht ausüben dürfe, sofern die dringende Gefahr bestünde, dass ein Bevollmächtigter durch fehlende Bereitschaft zum Konsens mit anderen Bevollmächtigten nicht den Wünschen des Vollmachtgebers entsprechend handelt und dadurch die Person des Vollmachtgebers oder dessen Vermögen erheblich gefährdet.
Die Erteilung einer Vorsorgevollmacht räumt der bevollmächtigten Person notwendigerweise überaus weitreichende Kompetenzen ein. Anders nämlich ist die bevollmächtigte Person im Notfall nicht in der Lage, alle anstehenden Aufgaben im wirtschaftlichen wie auch im persönlichen Bereich für den Vollmachtgeber zu erledigen. Daher sollte den Vollmachtgeber mit der betreffenden Person ein enges Vertrauensverhältnis verbinden. Die aktuelle Entscheidung des BGH zeigt dabei abermals, dass die Bestellung eines Betreuers trotz Erteilung einer Vorsorgevollmacht nicht gänzlich ausgeschlossen ist; dies setzt jedoch voraus, dass die begründete Befürchtung besteht, dass die bevollmächtigte Person die Angelegenheiten des Vollmachtgebers nicht entsprechend der Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Vollmachtgebers besorgt. Hierzu ist grds. auch der Vollmachtgeber anzuhören.
Zur Autorin:
Julia Olbrich, LL.M., ist Notarin mit Amtssitz in Münster. Sie berät die Beteiligten bei allen notariellen Vorgängen im Immobilien-, Erb- und Familienrecht und steht Ihnen auch im Rahmen der Erteilung von Vorsorgevollmachten nebst Patientenverfügung und vorsorglicher Betreuungsverfügung gerne zur Verfügung.