VORSICHT BEI SOG. „LENKENDER AUSSCHLAGUNG“ EINER ERBSCHAFT
Januar 6, 2024
VORSICHT BEI SOG. „LENKENDER AUSSCHLAGUNG“ EINER ERBSCHAFT

Wer eine Erbschaft angenommen hat, kann sie grds. nicht mehr ausschlagen. Entsprechendes gilt aber auch im umgekehrten Fall: Hat ein Erbe die Ausschlagung erklärt, kann er nicht mehr die Annahme der Erbschaft erklären. Der Erbe hat dann nur noch die Möglichkeit, seine Erklärung anzufechten. Dies setzt aber u.a. voraus, dass ein sog. Anfechtungsgrund vorliegt. Ein Anfechtungsgrund ist z.B. gegeben, wenn der Erbe über eine sog. „verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses“ irrt, also z.B. erst später erkennt, dass der Nachlass überschuldet ist.

Die Ausschlagung einer Erbschaft erfolgt aber zuweilen auch, um die Nachfolge nach dem Erbfall bewusst zu steuern, also einer oder mehreren bestimmten Person/en die Erbenstellung zu verschaffen, die nach gesetzlicher oder gewillkürter Erbfolge nicht zum Erben berufen wäre/n (sog. „lenkende Ausschlagung“).

Der Bundesgerichtshof hat im Zusammenhang mit der sog. „lenkenden Ausschlagung“ nun die lange umstrittene Frage geklärt, ob ein Irrtum des Ausschlagenden über den nächstberufenen Erben den Ausschlagenden zur Anfechtung berechtigt, mithin ob diese Fehlvorstellung einen Anfechtungsgrund darstellt. Die Richter haben diese Frage verneint; der Irrtum über die an Stelle des Ausschlagenden erbende Person ist nur ein Irrtum über eine mittelbare Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung und berechtigt nicht zur Anfechtung. Erbe ist somit nicht mehr derjenige, der die Ausschlagung erklärt und sodann diese Erklärung angefochten hat, sondern der/die nächstberufene/n Erbe/n.

Dem Beschluss des Bundesgerichtshofs lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Ehemann und Vater ist im Jahre 2018 verstorben, ohne ein Testament oder einen Erbvertrag hinterlassen zu haben. Es ist somit gesetzliche Erbfolge eingetreten, wonach die Ehefrau des Erblassers sowie dessen Kinder Erben geworden sind. Mit dem Ziel ihrer Mutter die Stellung als Alleinerbin zukommen zu lassen, schlugen sämtliche Kinder des Erblassers in notariell beglaubigter Form fristgerecht die Erbschaft gegenüber dem Nachlassgericht aus. Das Nachlassgericht wies die Ehefrau, die einen Erbschein beantragt hatte, der sie als Alleinerbin auswies, darauf hin, dass der Erbschein in der beantragten Form nur erteilt werden könne, wenn neben ihr weder Erben der sog. ersten und zweiten Ordnung noch Großeltern des Erblassers vorhanden seien. Erben der zweiten Ordnung waren jedoch vorhanden; so hatte der Erblasser Halbgeschwister, zu denen die Familie jedoch keinen Kontakt hatte. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens stellte sich sogar heraus, dass der Erblasser noch eine „Vollschwester“ hatte. Auf den Hinweis des Nachlassgerichts an die Ehefrau/Mutter erklärte ein Kind des Erblassers gegenüber dem Gericht form- und fristgerecht die Anfechtung seiner Ausschlagungserklärung wegen Irrtums mit folgender Begründung:

„Ich und meine Geschwister haben die Erbschaft ausgeschlagen, weil wir davon ausgingen, dass somit unsere Mutter, (…), Alleinerbin ist und somit auch als Alleineigentümerin der Eigentumswohnung (…) eingetragen wird. Nunmehr erhielt ich Kenntnis darüber, dass durch die Ausschlagungserklärung sämtlicher Kinder unseres Vaters dessen Halbgeschwister erben. Diese Halbgeschwister sind weder meiner Mutter, meinen Geschwistern oder mir namentlich bekannt. Auch mein Vater hatte zu diesen Halbgeschwistern keinen Kontakt. Erst mit der Mitteilung des NachlassG (…) erfuhr ich durch meine Mutter am 2.10.2018, dass die Halbgeschwister meines Vaters durch meine Erbausschlagung erben. (…)“.

Die Ehefrau und Mutter beantragte daraufhin beim Nachlassgericht die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der sie und ihr Kind als Miterben je zur Hälfte ausweisen sollte. Das Nachlassgericht wies den Antrag zurück mit der Begründung, es handele sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum des Kindes. Die Ausschlagungserklärung könne daher durch das Kind nicht wirksam angefochten und damit beseitigt werden.

Diese Rechtsauffassung bestätigte der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 22.03.2023 (Az. IV ZB 12/22). Wer somit beabsichtigt, eine ihm angefallene Erbschaft auszuschlagen mit dem Ziel, den Nachlass einer oder mehreren bestimmten Personen zukommen zu lassen, sollte sich vor Erklärung der Ausschlagung genau über die Rechtsfolgen informieren und zudem bedenken, dass ggf. auch bislang unbekannte Erben (z.B. uneheliche Kinder) auftauchen könnten.

Die Ausschlagungs- und auch Anfechtungsfrist beträgt grds. sechs Wochen. Ausschlagung sowie auch Anfechtung müssen entweder zur Niederschrift des Nachlassgerichts erklärt werden oder in öffentlich beglaubigter Form erfolgen.

Zur Autorin:
Julia Olbrich ist Notarin mit Amtssitz in Münster. Sie berät die Beteiligten bei allen notariellen Vorgängen, insbesondere zu den erbrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (z.B. Errichtung eines Testaments oder Abschluss eines Erbvertrages, „vorweggenommene Erbfolge“). Auch im Rahmen von Erbauseinandersetzungen, der Stellung von Erbscheinsanträgen sowie Erbausschlagungen steht Sie Ihnen zur Verfügung.